Gaißacher Familienpflegerin berichtet von einem schönen Beruf – trotz vieler Dramen

Frau Hitzelberger Familienpflegerin

Angelika Hitzelberger war insgesamt 43 Jahre unermüdlicher Einsatz für Menschen in Not. Die Gaißacherin berichtet, über ihre Zeit als Familienpflegerin.

Gaißach – Sage und schreibe 43 Jahre lang hat Angelika Hitzelberger aus Gaißach als Familienpflegerin gearbeitet. Sie hat in dieser Zeit viele Dramen und menschliche Abgründe miterlebt. Depressive Mütter, die nicht mehr in der Lage sind, einen Haushalt zu führen, Messi-Wohnungen, die so vermüllt sind, dass es kaum mehr ein Durchkommen gibt. Sie hat schwerkranke Mütter mit mehreren Kindern bis zum Tod begleitet. Trotz aller Schicksalsschläge und dramatischer Erlebnisse sagt die 65-Jährige, die kürzlich vom Familienpflegewerk in die Rente verabschiedet wurde: „Es ist ein schöner Beruf, der einem viel gibt.“

Von Beginn an stand für sie fest, dass sie einen sozialen Beruf ergreifen will. Als sie hörte, dass das Familienpflegewerk Helfer sucht, sagte sie sofort zu: „Ich habe mir gedacht: Da lernt man was, das man im Leben immer brauchen kann.“ Schmunzelnd fügt sie hinzu: „Ich hab’ angefangen und bin nicht mehr weggekommen. Durch den ständigen Wechsel ist die Zeit auch schnell vergangen.“ Im Laufe der Jahrzehnte hat sich allerdings viel verändert. So habe es vor 43 Jahren noch Mütterkuren gegeben, erinnert sich Hitzelberger. Sie sei oft mehrere Wochen in einer Familie geblieben. Am Vormittag erledigte sie den Haushalt, am Nachmittag betreute sie die Kinder. Einen Kalender benötigte sie nicht.

Vieles ist hektischer geworden

Doch mittlerweile laufe alles hektischer ab. Sie betreute zum Schluss sieben Familien gleichzeitig, zwei bis drei Einsätze pro Tag waren der Normalfall. Das Einsatzgebiet reichte vom Süden Münchens bis in die Jachenau und von Miesbach bis Garmisch-Partenkirchen. „Alles ist sehr viel anstrengender geworden, weil man viel unterwegs ist“, sagt Hitzelberger. In jeder Familie seien die Aufgaben unterschiedlich. In der einen Familie müssten die Kinder betreut werden, in der anderen gehe es darum, den Haushalt in Schwung zu bringen. Manchmal dauere ein Einsatz nur ein paar Tage, manchmal bis zu zwei Jahre. Manche Familien benötigen ein Training, wie sie den Haushalt besser organisieren können.

In Familien mit einem behinderten Kind oder einem pflegebedürftigen Angehörigen sorgt sie dafür, dass die Eltern mal einen Tag frei haben können. „Es gibt aber auch ganz tragische Fälle“, sagt die 65-Jährige. „Man kommt in eine Familie, in der die Mutter schwer krank ist. Da arbeitet man dann mit, bis sie nicht mehr da ist.“ Hitzelberger kann sich auch an einen Einsatz in einem Messi-Haushalt erinnern: „Das Geschirr und die Handtücher haben sich im Spülbecken gestapelt, die Toilette war ein Eimer, die Fensterscheiben waren mit Pappe abgedichtet.“ Mit der Zeit habe sie sich an einiges gewöhnt, „aber manchmal muss ich schon durchschnaufen“. Auch in solch einem Fall gelte es Lösungen zu finden. Wichtig seien die Supervisionsgespräche mit Kollegen: „Wir haben immer ein sehr gutes Team gehabt.“

„Man macht was Sinnvolles und erlebt viel Positives“

Natürlich gebe es auch schöne Einsätze wie Mehrlingsgeburten. Die Familienpflegerinnen helfen dann schon während solch einer Risiko-Schwangerschaft im Haushalt. „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, sagt Hitzelberger. „Man kann sich gar nicht vorstellen, was alles passieren kann.“ Man müsse flexibel und tolerant sein: Bei jeder Familie sei der religiöse und finanzielle Hintergrund und die Nationalität anders: „Das weitet den Blick“, sagt Hitzelberger. „Man sieht, wie viele Möglichkeiten es gibt, sein Leben zu führen.“

Generell hat sie den Eindruck, dass die Familien mehr Hilfe benötigen als früher, „denn viele haben keine Verwandten mehr in der Nähe, die ihnen helfen könnten“. Zugleich gebe es aber immer weniger Familienpflegerinnen, zwei von vier Schulen in Deutschland seien geschlossen worden. Was den Beruf ihrer Ansicht nach unattraktiv macht: Die Arbeitszeiten sind sehr unregelmäßig. Aufgaben wie Putzen seien für viele nicht reizvoll. Die Bezahlung sei laut Hitzelberger überschaubar – „so wie in anderen sozialen Berufen auch“. Ein beruflicher Aufstieg sei nicht möglich, und nicht zuletzt verlange die Tätigkeit viel Kraft. Und trotzdem hätte Hitzelberger nicht tauschen mögen: „Man macht was Sinnvolles, erlebt viel Positives und hat nicht mit Geräten zu tun, sondern mit Menschen.“ Daher sagt die 65-Jährige: „Ich würde jungen Leuten diese Arbeit schon empfehlen.“

„Man kann sich gar nicht vorstellen, was alles passieren kann.“ Das sagt Angelika Hitzelberger, die 43 Jahre lang als Familienpflegerin arbeitete. Vieles ist hektischer geworden „Man macht was Sinnvolles und erlebt viel Positives“ © Privat

02.02.2022 Von: Patrick Staar